Ideenflug gen Ithaka
Premiere der »Odyssee nach Homer« im »Puppenschiff «




Mainaschaff. Ein idealistischer Kopf hat einmal behauptet, daß Ideen mächtiger sind als jede körperliche Kraft. Als das Mainaschaffer »Puppenschiff«-Team sich entschloß, den umfangreichen literarischen Stoff von Homers Odyssee für sein Marionettentheater aufzubereiten, mußten Theaterchef Bernd Weber und seine Mannschaft diese aufmunternden Worte für den kleinen Mann im Hinterkopf gehabt haben. Das Epos fordert nicht nur mit unzähligen Schauplätzen und Ereignissen heraus, sondern erschwert eine Bearbeitung auch noch mit grotesken Lebewesen und abstrakten Elementen wie den vier Winden.

Das tollkühne Wagnis ist gelungen, die Premiere am Samstag abend war der glückliche Ausgang für ein Mammutunternehmen in Miniaturformat.

Homer macht es einem Puppentheater auch nicht gerade leicht mit seiner verschlungenen Erzählweise und den zeitlichen Wechseln. Mit Hilfe einer Nebenbühne meisterte das »Puppenschiff« jedoch die Sprünge zwischen Olymp und Kalypsos-Insel, zwischen dem Palast des Königs der Phäaken und Ithaka.

So reiht sich ein Abenteuer übergangslos und ohne Spannungsverlust an das nächste - und nicht immer ist dafür ein Bühnenwechsel nötig: Der Hintergrund wechselt wie das Wetter, Sturmwolken auf See weichen einer sonnigen Insel, während Odysseus vom Floß stürzt und als Schiffbrüchiger strandet. Die Illusion ist nahezu perfekt, auch als der Held und seine Gefährten im Strudel der Charybdis schlingern - bis das Seeungeheuer die meisten verschlingt.

Weder die sechsköpfige Skylla noch der Riese Polyphem konnten der »Puppenschiff«-Crew so viel Ehrfurcht einflößen, als daß sie die übernatürlichen Wesen nicht in den dargestellten Teil der Geschichte eingebaut hätten. Vom Riesen sind eben nur das gewaltige Bein und der Kopf zu sehen, Skyllas Ausmaß ist allein durch einen Schlangenhals zu erahnen: einfache, aber effektvolle Mittel - und da die Zuschauer mittlerweile ohnehin im Geschehen gefesselt sind, reichen die Andeutungen des Grauens aus.

So bleibt die zweistündige Aufführung jugendfrei, auch das abschließende Massaker auf Ithaka, als Odysseus die Freier in seinem Palast niedermetzelt, ist hinter dem geschlossenem Vorhang verborgen. Nur die Akustik läßt erahnen, was dort vorgeht, wie sie bereits das ganze Stück entscheidend mitbestimmt hat. Derart einfallsreich eingesetzt, lassen Stimmen und Geräusche einen neuen Blickwinkel zu, ohne einen Aspekt der Geschichte zu verlieren. Man sieht nicht Odysseus, wie er an den Mast gefesselt den lieblichen Gesang der Sirenen ertragen muß, sondern die gar nicht so lieblichen Frauenzimmer auf ihrer Insel, die an ihren Reizen zweifeln, als das Schiff im Hintergrund vorbeizieht - während OdysseusÂ’ Klageschreie den Raum erfüllen.

Doch bei aller Dramatik bleibt auch Raum für Komik, sei es im reinen Erscheinungsbild der vielen mit dem Schwanz wackelnden Tiere oder in den kleinen Weisheiten, die überall eingestreut sind - »In jedem Menschen steckt ein Tier«, sagt Zauberin Kirke mit Blick auf die in Schweine verwandelten Gefährten. Ob unfreiwillig oder beabsichtigt, der Lokalkolorit in den Stimmen vom Band sorgt für eine zusätzliche komische Note - und das macht das Mainaschaffer Theater wirklich einmalig: Wo sonst könnten einem Götter so vertraut erscheinen wie auf dem »Puppenschiff«-Olymp mit Ascheberger Platt?

Simone Weißkopf

Main-Echo vom Dienstag, 16. März 1999