Das glitzernde Lachen einer Iris
»Die Schneekönigin« im »Puppenschiff«: Von den Gefühlen im Lenz

Mainaschaff. Wen wunderte es da, daß an diesem Abend die Kälte in das Tal zog und Schneeflocken das Dorf zuckerten. So ein Abend muß das sein, wenn die Schneekönigin Einzug hält, und ein Hauch der Kälte umklammerte denn auch die Besucher im Mainaschaffer »Puppenschiff« an diesem Abend, als Kays Herz zu Eis gefror:

Auf ein Traditional haben die Spielerinnen und Spieler des Marionetten-Theaters in der Vorweihnachtszeit zurückgegriffen, auf eines der anrührendsten Märchen von Hans Christian Andersen: »Die Schneekönigin« nach der vorangegangenden Endzeit-Groteske »Frankensteins Hamster«.

Gefühlskalt nun aber, der glaubt, daß sanfte Unterhaltung das Regiment übernommen hat in der kleinen Mainaschaffer Bühne: Denn »Die Schneekönigin« ist ein Zauber von wärmender Kraft im Spiel und von der Sehnsucht nach Geborgenheit im Inhalt. Ein schlummerndes Bedürfnis offenbar: Der unstillbare Beifall nach dem endgültigen Fall des Vorhangs und die Freude der Kinder am Puppenspiel mögen Garant für dieses Bedürfnis sein.

»Die Schneekönigin« ist ein Märchen, das - naturgemäß - über weite Strecken in der Kälte des Winters spielt. Tatsächlich aber erzählt die Suche der kleinen Gerda nach ihrem Freund Kay von den Gefühlen im Lenz: »DieTräume einer Blütennacht« verheißt der Zaubergärtner bei einer Durchgangsstation während Gerdas Reise in das Herz des Frostes dem suchenden Mädchen - und natürlich knospen auch in diesem Märchen kindliche Empfindungen zur Reife. Denn wohl nichts anderes ist ein wahres Märchen, als ein Bild vom Tod der Kindheit und dem Erwachen des Erwachsenseins.

Und daß Gerda und Kay, die Spielgefährten aus Kindheitstagen, zueinander finden: Nun, das ist in diesem Puppenspiel statt des verhängnisvollen Glassplitters in Kays Auge das glitzernde Lachen in einer von Leben erfüllten Iris.

Traumhafte Bilder und wundersame Figuren haben die Fadenzieher und Bühnenbildner geschaffen, um den Zuschauer zu verzaubern: Der Garten des Eises ein düsterer Moloch, die Dämonen des Winters knochige, wortkarge Kreaturen - das Land der Suche in all seinen Schattierungen vom lichten Wald zur sonnengedörrten Savanne ein Ort der Ruhe, die Helfer am Wegesrand von den schlauen Krähen bis zu den tumben Räubern einnehmende Gestalten.

Märchen sind auch Ausflüge ins Reichdes Phantastischen - und Phantasie in der Darstellung wissen die Menschen im »Puppenschiff« bei der »Schneekönigin« mit der überzeugenden Schlichtheit des Ausdrucks zu einen.

Zur Premiere des Spiels schneite es in Mainaschaff . Bisweilen stehen Mensch und Natur in Einklang, und so dokumentierte der leichte Schneefall über Mainaschaff an diesem Abend, daß »Die Schneekönigin« eigentlich ein herzerwärmender Traum ist. Möglicherweise sogar mehrere Träume: »Die Schneekönigin« wird in verschiedenen Spielerbesetzunge aufgeführt - und reizvoll wäre ein Vergleich der unterschiedlichen Darstellungsnuancen.

Stefan Reis

Main-Echo vom 3.12.1990