Magische
Kraft voraus: wie ein Puppenschiff verzaubert
Das »Puppenschiff«
Mainaschaff.
Das »Puppenschiff« in Mainaschaff ist weit über die Grenzen
der
Gemeinde, ja des Landkreises,
bekannt. Jedes Wochenende hebt sich hier, im Gasthaus »Zur Krone«,
der Vorhang, um den
Blick freizugeben auf eine Welt, wie sie so mancher schon für ausgestorben
hält: eine Welt der Fabelwesen, des Wunderbaren, der Verzauberung. Mit
der anstehenden Premiere des »Aschenputtel« fällt das zehnte
Jubiläum der einzigartigen
Bühne zusammen.
Seit 1990 herrscht im ehemaligen
Tanzsaal der Amerikaner nun schon der Ausnahmezustand, regieren hier die Könige
des Märchenlandes. Wie aber kam es dazu, dass Woche um Woche leblosen Körpern
an unsichtbaren Fäden Leben eingehaucht wird, sich ein Theatersaal mit
Hilfe ausgefeiltester Technik verwandelt in eines der Weltmeere, ein Märchenland,
einen antiken Stadtstaat?
Fängt man die Geschichte der Bühne wirklich ganz vorne an, muss man deren Geburt im Jahr 1973 sehen, als der Stockstädter Lehrer Bernd Weber eine Wanderbühne gründet und fortan mit ihr und seinen Marionetten Zuschauer rund um die Region in seinen und den Bann der hölzernen Akteure zieht. Irgendwann stößt der Kreative aber an die Grenzen, die die Wanderbühne seiner Fantasie setzt - manches Stück, dessen Inszenierung bereits in seinem Kopf herumspukt und auf Verwirklichung drängt, verlangt eine feste Bühne.Sich vor jeder Vorstellung erst darum sorgen zu müssen, ob genug Steckdosen zu finden sein werden und ähnlich lapidare Probleme werden auf Dauer zum Ärgernis.
Ein festes Haus aber, so die Überlegung Webers, würde seine Kunst
in eine andere Dimension heben können. Wer heute sieht, wie Bühnenbilder
auf einer 40 Meter langen Leinwand den Hintergrund für die fantastischen
Geschehnisse schafft, weiß, was damit gemeint ist. Der Ton zu den Bewegungen
der Puppen wird im professionellen Studio bereits zwei Monate vor der Premiere
aufgenommen, Meeresrauschen und das Knarren der Schiffbarken versetzen das Trommelfell
des Besuchers hast-du-nicht-gesehen mitten auf den Ozean.
Bernd Weber hatte sich nach einer Heimat für das Theater zuerst in Aschaffenburg
umgesehen. Dort war das Interesse an der Einrichtung wach, allerdings standen
dem Willen die Möglichkeiten im Wege, es war kein Raum da, der Herberge
hätte bieten können.
In diese Zeit nun fiel das Engagement des Bäckermeisters Bernhard Hench,
der am 12. Dezember 1985 den völlig desolaten Tanzsaal der Amerikaner kauft.
Die integrierte Wirtschaft wird
zu der Zeit von einem Pizzabäcker betrieben. Der ist am 16. Januar 1986
spurlos verschwunden, hinterlässt aber ein bemerkenswertes Andenken: Der
Müll war seit November im Hintergarten entsorgt worden, und das Innere
der Stätte bietet kaum erfreulicheren Anblick. Aber: hoffnungsvolleren.
Bernhard Hench erkennt: Der
Saal ist »vergammelt, aber wunderschön«, und er erinnert sich
an eben jenen Bernd Weber, der im März '85 beim 50. Geburtstag des Vaters
Hubert eine grandiose Vorstellung gegeben und von seiner Raumnot erzählt
hatte. Ein Anruf klärt die Lage: Er hätte da einen Saal, »in
dem könnte man doch was machen«, verspricht Hench Weber.
Im April 1989 gründet Bernhard Hench den Verein »Theater in der Krone«
mit der Vision einer Art WG: Wer wollte, könnte die Bühne nutzen -
gegen persönlichen Einsatz bei Aufbau und Erhaltung. Neben den Produktionen
des »Puppenschiffs« sollten also auch Kleinkünstler eine Heimat
für ihre Darbietungen finden - Kabarett, Magie, Poetry Slam, Jazz: Erlaubt
ist, was gefällt. Nur: In Wahrheit ist die »Krone« nicht »vergammelt«,
sondern desolat, ein Full-Time-Job für ein Bauunternehmen. Es helfen viele
Freunde, Handwerker und Heimwerker, Handlanger und Ideenspender.
Bernd Weber, natürlich
Gründungsmitglied des Vereins »Theater in der Krone«, krempelt
die Ärmel nach oben, und wir
wissen: Er hat sie seither nie wieder glattgestrichen.
Endlich Premiere
Vom
4. Juli 1991 an begeht der Verein das 200. Jubiläum des Gasthauses mit
vier Tagen verschiedenster Darbietungen, und die Liste derer, die die Feier
zum Gelingen bringen, ist lang: Da ist Norbert Meidhof, der Kabarettist, und
sein Kollege Klaus Staab, der Humorist Hans Klar, die Musikgruppe Mollebusch,
der Pantomimenkünstler Benno Maria Rausch - und Bernd Weber zaubert. Am
15. September eröffnet schließlich die erste Saison des »Puppenschiffs«
in seiner neuen Herberge, der »Krone«, mit dem Stück, »Frankensteins
Hamster«, und am nächsten Tag »Der Zauberer Bebrakadebra und
sein Zebra«, einer Kindervorstellung.
Seit der mühevollen Fertigstellung des Saales bietet das »Puppenschiff«
mehr als Kinderunterhaltung im Sinne schnell verdaulicher, liebevoll selbst
gemachter Kost, wie man sie aus Laiendarbietungen in Schulturnhallen,kennen
mag. Tausendsassa Bernd Weber weist zu Recht von sich, mit der Bühne nur
einem Hobby nachzugehen.
Das Mainaschaffer Theater
ist für die Beteiligten, die Sprecher, Schauspieler, Maler, Layouter des
Programmheftes bis hin zu den Plakatklebern die Erfüllung eines Traumes,
in dem harte, unerbittlich Kontinuität fordernde Arbeit belohnt wird mit
dem Quäntchen Kreativität, das die Helfer einbringen in die Mühen.
Wer eine Puppe, die bis zur
Vollkommenheit stolze 40 Stunden Arbeit verschlingt, fertig in den Händen
hält, hat Blasen an den Händen, Flecken auf dem T-Shirt und ein steifes
Genick vom konzentrierten, vornübergebeugten Bemalen. Aber er hält
im gleichen Augenblick eben jenes Wesen in den Händen, das seinen Schöpfer
unmittelbar und die Zuschauer nur wenig später in den Bann ziehen wird,
die Traumfrau, den Traumprinz, vielleicht auch die böse Stiefmutter.
Diese Erklärung ist der Versuch, die Passion zu ergründen, mit der
die Beteiligten bei der Sache sind. Neben Beruf, Studium, Kindern oder Haushalt
- kurz, zusätzlich zu allen weltlichen Verpflichtungen, verbringen sie
Wochenenden und Abende in Stockstadt in der Werkstatt des »Puppenschiffs«
oder in Mainaschaff, wenn es nach zweijähriger Vorbereitung ans Proben
und Aufführen eines Stückes geht.
Dann heißt es wieder
»Volle Kraft voraus« auf dem kreativen Dampfer, und der Sturm der
vergangenen Strapazen braust noch einmal auf mit dem schönsten denkbaren
Resultat: Das Publikum ist bezaubert, und die Matrosen erhalten ihre Heuer,
den wertvollsten Künstlerlohn - Applaus. Der kommt dann nicht mehr vom
Band, sondern live. Und das ist in dem Fall noch besser.
Daniela Dreyfürst
Main-Echo vom 16. September 2000