Liebgemeinte Warnung vor den Medien
»Das bunte Kind vom grauen Stern«: Neues aus dem Mainaschaffer »Puppenschiff«


Mainaschaff. Jetzt kommt Farbe ins Spiel. »Bunt getrieben« hat's das Puppenschiff schon immer. Aber nun macht es die Farbe zum Thema. »Das bunte Kind vom grauen Stern« heißt die neue Produktion für Kinder: Ein »phantastisches« Stück, was am Sonntag im Mainaschaffer Theater in der »Krone« Premiere hatte. Puppenschiffer Bemd Weber: »Das Stück? Schön wie immer.« Tatsächlich hat sich das Ensemble angestrengt, »das Schöne« in der Marionettenwelt zu konzentrieren - und es hervorzustreichen, in dem es ihm das Graue entgegensetzt. Personifiziert wird dies durch den grauen Drachen, der auf dem Planeten Chroma mit seinem giftigen Hauch alle Farben vernichtet.

Ohne Farben - eine Vergegenständlichung der Phantasie, mit der sich das Puppenschiff in jeder seiner Produktionen auseinandersetzt - fehlt den Menschen auf Chroma die Lebenskraft. Nur das Geburtstagskind Prinzessin Amalthea kann die Menschen aus dem Grau in Grau retten.

Das Mädchen soll von der Erde Farben holen. Zusammen mit Quischel, dem herzallerliebsten, weil quischelnden, Weltraumtier. Das Publikum leidet mit ihnen, wenn ihnen niemand auf der Erde hilft, wenn Amalthea ihre rührende Arie singt: »Warum sind die Menschen so gemein, können sie nicht lieb zu einander sein«. Und das Publikum freut sich mit ihnen, wenn Jakob und Mara Amalthea dann doch unterstützen.

In acht Szenen und liebevoll gemalten Kulissen spielt sich Amaltheas Bemühen um Rot, Blau, Grün und Gelb ab. Die Personen, die ihr dabei begegnen, nutzt das Puppenschiff-Ensemble, um Satire zu plazieren. Denn mit der können die Marionettenspieler auch bei Kinderstücken nicht hinterm Berg halten.

Den pädagogischen Zeigefinger wollen sie nicht erheben. Sie legen ihre Finger vielmehr in die Wunden, die in der Gesellschaft offen klaffen und die auch Kinder schmerzhaft werden können: Wenn Amalthea beispielsweise im Park steht und wegen ihres bunten Aussehens von zwei anderen Kindern nicht ernst genommen wird.

Oder wenn die Prinzessin mit Jakob und Mara nach Hause kommt und Vater und Mutter unbeweglich vor dem Fernseher sitzen - die Mutter nur Pommes, Marmelade, Gurken anbietet, der Vater lediglich murmelt: »Macht mir keinen Krach, jetzt kommt gleich der Western!«

Während der gesamten eineinhalbstündigen Aufführung sitzen die Medien auf der Schippe des Puppenschiffs. Da wird die Werbung genauso durch den Kakao gezogen (»Wenn Sie Probleme mit ihren Haaren haben, nehmen Sie Glatzo. Das macht die Haare unsichtbar«), wie der Sensationsjoumalismus (Reporter von Tele flutsch: »Eine Sensation! Und nur das suchen wir!«)

Die Vermarktung von allem und jedem führt Rüdiger Esoterik (sprich: Esóterik) vor. Er will mit falschen Marsmenschen auf Seite Eins kommen. Dabei erkennt er gar nicht mehr die echte Besucherin aus dem All, Amalthea.

»Das bunte Kind vom grauen Stern« ist eine unterhaltende und liebgemeinte Warnung vor den Medien, allen voran dem Fernsehen. Dabei bleibt es nicht und das ist das Schöne am Stück: Es stellt eine Gegenwelt zur TV-Wirklichkeit in einer Mischung aus Phantastischem und Realistischem vor. Weltraum besteht nicht nur aus Raumschiff Enterprise oder Kampfstern Galaktika. Das Universum wird im Puppenschiff eben nicht nur als Riesenautobahn für supermoderne Space-Basen gezeigt. In Mainaschaff blinkt ein ganz schlichtes Raumschiff. Und die Besatzung ist kein Kampfschwadron, sondern ein Mädchen, das durch seine Mission begreiflich macht, wie wichtig die Farben sind.

»Bei all der Hülle und der Flut von Geschichten, mit der Kinder heute überschüttet und überfüttert werden noch eine Geschichte für Kinder?«, fragte sich das Ensemble zu Beginn seiner Arbeiten. Nach der Premiere ist »ja« die Antwort darauf. Diese Geschichte hat ihre Berechtigung, weil sie neben all den angerissenen Themen vor allem Pnend ist.

Manuela Klebing

Main-Echo vom 9. März 1993