Der Kasper hat gleich drei Teufel im Leib
»Das alte Puppenspiel vom Doktor Faust«: Marionetten an (un)sichtbaren Fäden



Mainaschaff.

Dieses Stück hat den Teufel im Leib - aber seine Seele hat das Mainaschaffer Theater in der Krone im »alten Puppenspiel vom Doktor Faust« keineswegs verkauft. Zu typisch fürs Puppenschiff ist die neue Produktion, als daß sie schiere Motivadaption wäre. Am deutlichsten offenbarte sich dies bei der Premiere der Fausttragödie am Samstag mit der Figur des Kasper. In den naiven, gutmütigen Blondschopf legt das Ensemble um Bernd Weber einen Schmunzeln machenden Gegenentwurf.

Während der Doktor Fauste aus Wittenberg tatsächlich dem Teufel seine Seele überschreibt, um dessen Dienst versichert zu sein, darf Kasper sogar umsonst auf dem höllischen Sperling durch die Lüfte nach Parma entschwinden. Schließlich behauptet er unbesonnen: Den Leib brauche er selbst und eine Seele, die er vergeben könne, habe er nicht. Als er zur Welt kam, seien gerade keine vorrätig gewesen.

Über soviel unbewußte und deshalb nicht beizukommende Schläue (?) muß sogar der Geist der Unterwelt namens Auerhahn entnervt seufzen: »Der hat drei Teufel im Leib.« Den Gegenüber des ungebildeten, pragmatischen Kasper zum gebildeten, strebenden Faust erfüllt die Stimme des Aschaffenburger Schauspielers Wilfried Haugg mit einer derartigen -Lebendigkeit und Ausdruckskraft, die zugelassen hätte, der mimiklosen Marionette noch längere Monologe in den imaginären Mund zu legen.

Faust und Kasper gehen das Stück lang eigene, aber ähnliche Wege, bis sie sich am Ende - und das ist auch das Ende des Doktors - wieder in Wittenbergs nächtlichen Straßen begegnen. Jetzt findet das gespiegelte Spiel seinen Höhepunkt: Während Faust verzweifelt bangt, vom Teufel geholt zu werden, empfiehlt ihm Kasper, zu seiner Frau Gretl ins Haus zu gehen: »Da traut sich kein Teufel rein.«

Dreimal dialogisieren die beiden, dann fährt Faust Punkt zwölf Uhr zur Hölle. Die letztliche Verdammung Fausts malt zwar das schlimme Ende des Einlassens mit den bösen Mächten aus, ist aber kein eindeutiges Plädoyer für die andere Seite, den christlichen Gott, auch wenn Kasper verkündet »Lobet Gott den Herrn«; er meint es bezogen auf seine eigene Weltvorstellung.

Dies ist mitzudenken, denn die Faustfiguren des Puppenschiffs sind nicht für 1994 modernisiert, sondern vor ihrem historischen Hintergrund belassen; also in der Mischung aus den Annahmen des Mittelaltes, da tatsächlich einmal ein höllisch schwer auszumachender Faust gelebt haben soll, und des 18. Jahrhunderts, da Karl Simrock den Text, auf dem das »alte Puppenspiel vom Doktor Faust« aufbaut, aus allen anderen damaligen Puppenspielen mosaikartig zusammensetzte.

Zwar entsprechen die Figuren in ihren Kostümen und Kulissen gängigen Faust- und Mephisto-Bildern (der Gelehrte in Braun-Grau mit Strubbelfrisur, in Rot-Schwarz der Teufel), doch wird keineswegs die Geschichte in einem originalgetreuen Studierzimmer, vollgepfropft mit Magie oder brodelnder Alchemie gezeigt, oder etwa der Glauben der Christen an Fegefeuer und Ablaß.

Die Faustsage wird als Exempel präsentiert, erhält durch ihre sparsame Konkretisierung etwas Zeitübergreifendes und ist damit ein altes aktuelles Stück, das nicht in moderne Theaterform gepreßt werden muß. Der Reiz, sich mit Obskurem einzulassen, wohnt dem homo, weil sapiens, inne, zu groß ist seine Sehnsucht nach - mit Faust gesprochen - »Genuß aller Herrlichkeiten der Welt Schönheit; Ruhm und wahrhafte Beantwortung aller Fragen«.

Dabei muß Faust am Schluß feststellen, betrogen worden zu sein: »Zwölf Jahre vergangen, die ganze Welt durchstreift und doch keine Freude, kein Genuß. Wenn ich meinte, es wär Gold, so war es leeres Stroh. Der schäumende Becher der Lust hat bittre Hefe.«

Das Unrechte belügt, muß Faust einsehen, die Unterwelt war ein kurzzeitiger Begleiter, die ihn zur Marionette machte. Und doch hing am Samstag auch die Unterwelt mit Pluto und Charon per Fäden an fremden, für sie uneinsehbaren Mächten. Was als Metapher die Geschichte um den Teufel und, den Menschen noch einmal überhöht, bedeutete für zwei Mitglieder des Puppenschiff-Ensembles schweißtreibende Arbeit.

Nur Claudia und Bärbel führten stellvertretend für alle Puppenschiffer die gesamten Marionetten, bauten um - alles bei offener Bühne. Bernd Weber:. »Wir wollen das Stück so spielen wie es früher auf dem Jahrmarkt Tradition war.« Endlich offenbaren die Spieler etwas von der komplizierten Technik, die sonst illusions-aufbauend hinter dem Vorhang verborgen bleibt. Wie aber der höllische Vertrag aus der Unterwelt direkt in Fausts Studierzimmer fahren konnte - das bleibt für den Uneingeweihten Teufelswerk.

Manuela Klebing