Schwarzer Humor und kindliche Unschuld
Das Mainaschaffer »Puppenschiff« mit einem Kriminalstück - und einer Frage dazu


Ich tue das, was ich am besten kann: Dinger drehen.
(Robert de Niro, in: »Heat«)

Mainaschaff. Diebische Freude läßt sich empfinden bei der Suche nach dem Täter, einzelne Szenen sind mörderisch gut, ein Verbrechen ist der Besuch der Aufführung keinesfalls, eher die Sünde wert: Die Welt der Kriminalität verführt zur Lust am Fabulieren, es läßt sich ein- tauchen in das Spiel des Mainaschaffer Marionettentheaters »Puppenschiff« und um seiner selbst genießen - es läßt sich aber auch die tiefgründige Bilanz eines »Puppenschiff«-Besuchers nach dem Mords-Spektakel am Samstag abend klauen und an die Leser dealen: »Rabenschwarz, aber voller Realität.«

Lernerfolg

Rabenschwarz sind die Szenen am Rande jener Bühne, auf der die Antwort auf die Frage »Wie kommt die Wursthaut auf den Sargdeckel?« gegeben werden wird: Rotkäppchen hat sich auf dem zur zweiten Bühne erhobenen Nebenschauplatz vor dem Hohen Gericht zu verantworten wegen Tierquälerei, die den Hasen zu Tode hetzenden Igel wegen Vortäuschens falscher Tatsachen. Der Zeuge des »Kriminalkonfusicals« lernt sehr rasch: Die Welt ist nicht nur von Grund auf schlecht, ihr kleiner Rest an Lauterkeit läßt sich durch juristische Spitzfindigkeit hier und das gesellschaftliche Unvermögen zum Miteinander dort vollends in den Sumpf des Bösen ziehen.

So sind es eben diese Szenen und die Intermezzi zwischen der verbindenden Rahmenhandlung, des neuen »Puppenschiff«-Stücks, die wie ein Pistolenschuß nachhallen: Rücksichtslos räumt das Ensemble mit dem Schauermärchen auf, Marionettentheater sei pflegeleichte Unterhaltung. So mündet die Darstellung tv-zappender Jugendlicher auf der Jagd nach Mord-Statistikrekorden in einem schauerlichen Höhepunkt, der das Publikum nicht unberührt lassen kann: nur ein Beispiel, mit welch feinem Sinn die in blutrotem Samt ausgeschlagene Bühne des Theaters benutzt werden kann - und wird.

Das Publikum am Faden?

Kabarett soll es sein, was im »Puppenschiff« den Betrachter erwartet, werden die Marionettenspieler zu betonen nicht müde: Kabarettistische Züge trägt das kriminalistische und kriminelle Spiel über weite Strecken und überdeckt damit eine Rest-Rahmenhandlung, die möglicherweise für den Geschmack des hartgesottenen Anhängers Bogey'scher Coolness, der Spitzfindigkeit Columbos und des Zynismus' eines Philip Marlowe denn doch zu sehr vom Guten in den Charakteren der Autoren geleitet wurde: Die Suche auf der Hauptbühne nach dem Mörder des Kunstfälscher Falsino Strychnini wird im Gegensatz zu den eingestreuten Bildern von kindlicher Unschuld dominiert. Freunde des schwarzen Humors und der Motivsuche dürfen sich hier eher an der jedem Taschendieb zur Ehre gereichenden Fingerfertigkeit der Marionettenspieler und an dem bewundernswert ungebrochenen Erfindungsreichtum der Kostüm- und Bühnenbildner erfreuen.

Möglicherweise aber ist eben dieser beständige Wechsel zwischen dem Darstellen »rabenschwarzer Realität« und überbordender Lust am Spiel die adrenalinpumpende Wanderung auf dem Grat und die »Puppenschiff«-Crew nimmt das Publikum lediglich an die Fäden, um es zu dirigieren - und mit Vorsatz zu verwirren.

Im Gegensatz zu früheren »Puppenschiff«-Produktionen läßt sich das Fehlen eines durchgängigen Arrangements erklären mit der Struktur des Begriffs »Verbrechen«: Was dem einen - Rotkäppchen beispielsweise - als Recht und gesellschaftliches Wohl erscheinen mag, ist dem anderen - dem Wolf in diesem Fall - bitteres Unrecht. Und wo der Fall das Marionettenstück - so augenscheinlich offensichtlich scheint, schleichen sich doch Fragen ein über das wahre Motiv für das Tun: Ist's letztlich Ausdruck des reinen Unterhaltungswerts oder gibt es doch den Hinter-Sinn'?

Das Verbrechen, es bereitet naturgemäß Verwirrung und Irritation. Nach der Aufführung am Samstag abend applaudierte das Publikum die Marionettenspieler zweimal in das Rampenlicht, für »Puppenschiff«-Verhältnisse eine eher verhaltene Zustimmung. Aus dieser Resonanz ergibt sich mit zwingender Logik die unbeantwortete Frage: weil im »Puppenschiff« mit dieser Aufführung ein gewöhnungsbedürftiges Wechselspiel gewagt wurde - oder weil das Ensemble sich nicht zum ganz großen Coup rabenschwarzer Unterhaltung durchzuringen vermochte?

Stefan Reis